Die Synagoge von Lockenhaus
Das jüdische Bethaus
Dort wo wir heute ein Eis essen oder unseren Kaffee oder Tee genießen stand - ganz in der Nähe - bis zum Jahr 1938 ein jüdisches Bethaus, eine Synagoge. Das Gebäude wurde ca. 1880 erbaut und im Hof - hinter dem heutigen Caféhaus - an das damals ebenerdige Wohnhaus angebaut. Die Synagoge stand also ganz im Zentrum von Lockenhaus und war gut sichtbar. Nachdem es im Jahr 1938, am 20. April 1938 wurden die letzten noch in Lockenhaus lebenden Juden und Jüdinnen vertrieben, keine jüdischen Bevölkerung mehr in Lockenhaus gab, wurde die Synagoge und damit auch die jüdische Geschichte von Lockenhaus, fast vergessen.
Heute ist das Gebäude der ehemaligen Synagoge ein privates Wohnhaus und auch das jetzige Caféhaus sah zu den Zeiten als es noch eine jüdische Bevölkerung in Lockenhaus gab, ganz anders aus (Foto, ca. 1903).
Auf der linken Seite vom Haus (auch am Foto zu sehen) steht seit dem Ende des 1. Weltkriegs das “Kriegerdenkmal“ (ein Denkmal für Gefallene und Vermisste aus den beiden Weltkriegen). Auch den Name eines jüdischen Gefallenen aus Lockenhaus (Hoffmann) findet man am Denkmal. Seit 2008 steht hier auch das Shoa Mahnmal für die Lockenhauser Opfer der Shoa.
Mit dem Begriff Shoa (hebräisch: großes Unheil) oder auch Holocaust (altgriechisch: vollständig verbrannt) wird die Ermordung jüdischer Menschen und die Vernichtung jüdischer Kultur – der nationalsozialistische Völkermord an 5,6 bis 6,3 Millionen europäischen Juden - im 2. Weltkrieg bezeichnet. Viele Lockenhaus*innen waren auch unter den Opfern der Shoa.
Die Synagoge wurde auf Privatinitiative von Maier Isidor Stössel erbaut. Er stammte aus Lackenbach und zog um 1850 mit seiner Familie nach Lockenhaus. Ca. 1880 errichtete er das Bethaus im Hof seines Wohnhauses in der Hauptstraße 21. Von Zeitzeugen aus Lockenhaus, von denen es heute nur mehr sehr wenige gibt, wurde das Bethaus „der Tempel“ oder „der Judentempel“ genannt. Die heutige Bezeichnung ist Synagoge von Lockenhaus oder Das private Bethaus der Familie Stössel.
Die Synagoge war über die Dorfgrenzen hinaus bekannt und wurde von Juden und Jüdinnen zu den hohen jüdischen Feiertagen aus den umliegenden Dörfern besucht. Es gab auch ein Frauengalerie und im Hof eine Mikwa, das jüdische Ritualbad. Auf alten Postkarten kann man das Gebäude mit den hohen Rundfenstern gut erkennen.
Was wissen wir heute darüber, wie sah die Synagoge aus.
Es gab eine Frauengalerie, die auf Eisensäulen gestützt war und mit Sitzbänken ausgestattet war. Auch im Parterre waren Sitzbänke. Die Decke war auf Eisenträgern eingewölbt. Es gab einen Vorraum und ein Stiegenhaus und vom Boden bis zum Gesimse hatte die Synagoge innen eine Höhe von 6.50m. Das Gebäude war 12.20 m lang und 8.40 m breit. Die starken Mauern waren aus Stein gebaut und das Dach ein Ziegeldach. Zum Hof hatte die Synagoge drei hohe Rundfenster, eingefasst mit roten Ziegeln und eine Eingangstür. In einer Beschreibung zur Schätzung des Werts des Gebäudes im Jahr 1939 steht, dass auch vom Wohnhaus aus ein Raum als Zugang zum Tempel benutzbar war. Ein Bild oder ein Foto vom Innenraum gibt es leider nicht, bzw. ist uns nicht bekannt. (Das Foto zeigt die Synagoge vor dem Jahr 1938 und wurde von einem Überlebenden zur Verfügung gestellt.) Die Synagoge von Lockenhaus könnte, nach der Beschreibung, der Synagoge in Schlaining ähnlich gewesen sein, nur kleiner.
Zeitweise war auch ein Rabbiner in Lockenhaus angestellt, er war auch Schächter (Schoichet) und ermöglichte der strenggläubigen jüdischen Familie Stössel die koschere Lebensweise. Im Sommer, wenn viele jüdische Besucher zur Sommerfrische in Lockenhaus weilten, war auch das Minjan möglich, der jüdische Gottesdienst. Es müssen dafür mindestens zehn erwachsenen Juden anwesend sein. Die jüdische Gemeinschaft von Lockenhaus war keine eigenständige jüdische Kultusgemeinde, sie wurde von der IKG Schlaining und später von Rechnitz mit betreut. Der jüdische Friedhof für die Lockenhauser*innen befindet sich in Lackenbach.
Bis zum Jahr 1938 gab es in Lockenhaus ein friedliches, auch von Freundschaften begleitetes Nebeneinander der Religionen. Die Kinder besuchten die gleichen Schulen, die Menschen gingen in die jüdischen Kaufhäuser zum Einkaufen. Auch am Sonntag konnte man einkaufen, den die Juden hatte nur am Schabbat geschlossen. In einer Beschreibung eines Nachkommen steht, dass die eigenen Landwirtschaften der jüdischen Familien in Lockenhaus (Felder, Gemüseanbau, Tiere) die koschere Lebensweise im Dorf ermöglichte. Die Familien pflegte Freundschaften in Lockenhaus, aus Erzählungen weiß man, dass jüdische und christliche Kinder und Jugendliche befreundet waren. Auch den „Schmattes“, das Trinkgeld verdienten sich manche der christlichen Kinder, wenn sie am Schabbat beim Feuerheizen halfen.
Im Jahr 1938 (im April) änderte sich alles. Die jüdische Bevölkerung wurde aus Lockenhaus vertrieben. Auich in den anderen Orten im ganzen Burgenland passierte dasselbe. Jüdische Familien lebten in der Nähe auch in Pilgersdorf, in Kogl, in Unterrabnitz, in Weingraben, in Oberpullendorf,... in vielen Orten in der Umgebung. Alle wurden vertrieben und ihre Häuser und Geschäfte und Tiere beschlagnahmt. Die meisten jüdischen Familien flohen zuerst nach Wien. Dort lebten sie in Sammelwohnungen und versuchten verzweifelt Ausreisepapiere zu bekommen. Einige Mitglieder einer jüdischen Familie aus Lockenhaus konnten ins Ausland fliehen, viele hatten aber kein Glück und wurden in Konzentrationslagern ermordet. Die Namen der dreizehn nachweislich in der Shoa ermordeten Lockenhauser*innen stehen am Mahnmal. Es sind auch einige Kinder darunter gewesen. Und auch der Gemeindearzt (Dr. Süss)aus Lockenhaus.
Von einer jüdischen Greißlerin aus Lockenhaus, Hermine Hacker, weiß man erst seit kurzen, dass auch sie in ein Konzentrationslager nach Polen gebracht worden ist und vermutlich dort verstorben ist.
Die Synagoge in Lockenhaus wurde geplündert und der Innenraum völlig zerstört, wahrscheinlich gleich nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung im April 1938. Von der örtlichen NSDAP (Nationalsozialistische Partei) wurden beide Gebäude, die Synagoge und das Wohnhaus, beschlagnahmt und das Wohnhaus als Parteilokal benützt. Eine Erzählung berichtet, die Einrichtung der Synagoge sei in ein Pfarrhaus ins Südburgenland gebracht worden. Ein Zeitzeuge erzählte, dass im Synagogenraum alles zerschlagen und wild durcheinandergeworfen da lag, die Fensterscheiben zerbrochen und die Fenster zugenagelt. Heute ist das alles vergessen und es ist nicht mehr nachweisbar was wirklich in der Synagoge und mit den Wertgegenständen aus dem Synagogenraum passiert ist und ob diese Erzählungen der Wahrheit entsprechen.
Die zwei Thorarollen aus der Synagoge, die mit Silberschmuck verziert waren, konnten vorerst von Ignatz Stössel (einem der Überlebenden) nach Wien gerettet werden. Er übergab sie dem Rabbiner in der Schiffschulsynagoge im 2. Bezirk zur Aufbewahrung. In der Pogromnacht am 9. November des Jahres sind sie beim Brand der Synagoge vernichtet worden. Auch in Lockenhaus ist vermutlich nichts von der Einrichtung und den Wertgegenständen aus der Synagoge erhalten geblieben. Man weiß es nicht.
Bis heute erinnert kein Hinweisschild im Zentrum des Dorfes an das ehemals blühende jüdische Kulturleben im Dorf und an die über die Dorfgrenzen hinaus bekannte Synagoge von Lockenhaus.
Aufgaben:
Die Fragen 1-4 kann man in der Klasse aufteilen, z.B. in vier Gruppen recherchieren und dann in einem Referat oder mit einem Plakat die MitschülerInnen über die Ergebnisse der eigenen Recherche informieren. Die 5. Aufgabe gemeinsam machen.
- Lese den Rundgang (Spurensuche) auf dieser Homepage, und sieh dir die anderen jüdischen Häuser in Lockenhaus auf den Fotos an. Wo waren diese in Lockenhaus. Versuche, mit Hilfe der Beschreibung des Inneren der Synagoge, eine Zeichnung oder eine Skizze vom Innenraum zu machen. Es gibt ein Foto auf der HP, worauf das ganze Dorf zu sehen ist und die Synagoge mit den hohen Rundfenstern gut erkennbar ist.
- Was ist eine Mikwa (Mikwe, Mikveh), was ist das Minjan und was bedeutet Schabbat?
- Was ist eine Thorarolle, wie sieht sie aus, was steht darin, wie wird sie benutzt?
- Was ist ein Schoichet, was ist ein Rabbiner, und was bedeutet koscher und was ist ein Schmattes?
- Besuche das Mahnmal und rede darüber! Ist es gut sichtbar? Was könnte die Sichtbarkeit erhöhen? Welche Möglichkeiten gibt es noch Erinnerung und das Gedenken sichtbar zu machen? Was kannst du machen, damit die Geschichte der jüdischen Nachbarn von Lockenhaus nicht vergessen wird?
- Für Schüler*innen aus den umliegenden Dörfern: Kennst du die jüdische Geschichte aus deinem Heimatdorf?
Aufgabe speziell für Schüler und Schülerinnen der Oberstufen:
Einige Texte dieser HP müssen noch ins Englische übersetzt werden. Wer hierhelfen kann und mag, bitte per email melden: shalom-lockenhaus@aon.at
Es wäre schön, wenn diese Homepage auch in ungarischer Sprache zu lesen wäre. Wer hier helfen kann und mag, bitte ein email an: shalom-lockenhaus@aon.at
Anregung für LehrerInnen
- Eine Exkursion zum jüdischen Friedhof nach Lackenbach. Versucht die Namen Stössel, Kopfstein oder Hacker auf einigen Grabsteinen zu finden. Auch in Lockenhaus lebten jüdische Familien mit diesen Namen.
- Exkursion nach Kobersdorf. Besichtigt die noch erhaltene und zur Zeit gerade in Renovierung befindliche Synagoge, Besucht den jüdischen Wald-Friedhof und das jüdische Mahnmal von Kobersdorf. Ist dieses Mahnmal gut sichtbar?Wer hat es gestaltet?
- Wanderung am Wanderweg "Judensteig" Von Landsee (Ruine) bis nach Kobersdorf.
- Exkursion nach Deutschkreutz. Besuch des jüdischen Friedhofs und Rundgang durch das ehemalige jüdische Viertel, wo eine große Synagoge stand und sich eine europaweit sehr bekannte Talmudschule befand.
- Besuch der Synagoge von Schlaining und der Friedensburg.
- Rundgang zu den ehemaligen jüdischen Häusern in Lockenhaus: Info und Anmeldung: shalom-lockenhaus@aon.at